LOVER EPSD004

Für die vierte Episode von „LOVER“ habe ich Juli im Tanzstudio in Friedrichshain besucht. Juli kommt ursprünglich aus Wuppertal und arbeitet freiberuflich als Tänzerin und Choreografin in Berlin. In unserem Gespräch haben wir intensiv über ihre Zeit in Berlin, Martial Arts und ihre Sicht auf die Stadt gesprochen.

Hey Juli, erstmal vielen Dank, dass du hier mitmachst! Lass uns doch erstmal mit einer easy Vorstellung anfangen. Wer bist du? Wo kommst du her und was machst du?

 

Hey Max, Ja, erstmal vielen Dank, dass ich bei deinem Projekt dabei sein darf.

Ich bin Juli und komme ursprünglich aus Wuppertal – der Stadt der Schwebebahn und Tuffi, dem Elefanten, der 1950 aus dieser besagten Bahn in die Wupper sprang und natürlich Pina Bausch. Ich arbeite als Tänzerin/Choreografin und bin fasziniert von Dunkelheit und Stille. Ich möchte herausfinden, was die verschiedensten Aspekte des Lebens, wie Gefühle, für mich bedeuten. Ich versuche, dem Leben zuzuhören, auch wenn dies nicht immer mit den Ohren oder gar bewusst geschieht. Ich beobachte gerne Menschen – mag es aber nicht, mit ihnen zu reden – liebe Glitzer und die 80er, habe Angst vor den ungewissen Tiefen des Wassers und vor Vögeln. Ich denke, das liegt an der Art, wie sie dich mit ihren schwarzen Augen anstarren und dabei ihren Kopf ruckartig bewegen.

Wir waren ja in Friedrichshain und Kreuzberg unterwegs, um Fotos für den Artikel zu machen. Was bedeuten diese beiden Bezirke für dich und wie nimmst du sie wahr?

 

Mein ganzes Leben spielt sich quasi nur in diesen beiden Bezirken ab. In Friedrichshain unterrichte ich seit jetzt fast 5 Jahren- habe mich aber vor kurzem entschieden, aufzuhören. Oftmals fühle ich mich, als würde ich mir 5 verschiedene Filme, von Komödie über Horrorfilm bis hin zur Dokumention, gleichzeitig anschauen. Durch die vielen Eindrücke habe ich am Ende keinen dieser Filme verstanden und entziehe mich – als introvertierter Mensch – auch gerne der Realität und den überwältigen Eindrücken. Dennoch ist der Rückweg auf meinem Fahrrad – von Friedrichshain nach Kreuzberg – immer etwas Besonderes. Oftmals steht die Sonne tief und die Stadt wirkt, als wäre sie in Rost und Staub gedeckt, oder ich kann mein eigenes Spiegelbild in den Pfützen sehen und es riecht nass und frisch zur gleichen Zeit. Ich muss meine Augen immer etwas zukneifen und wenn ich die letzte Straße entlangfahre, atme ich tief ein, breite meine Arme aus und fühle mich für eine Sekunde, als würde ich fliegen. That's the best part!

Hast du auch einen Bezug zu anderen Bezirken? Wo hältst du dich am meisten auf und warum?

 

Andere Bezirke fühlen sich oftmals an, als würde man eine andere Stadt besuchen. Meine Eltern wissen mehr über Berlin und dessen Bezirke, als ich nach 10 Jahren weiß. Tatsächlich halte ich mich überwiegend in Kreuzberg auf – ich trainiere hier, meine Freunde leben dort und der Bezirk vermittelt mir, mit all seinen kleinen Plätzen, ein Gefühl von Sicherheit.

Gibt es in Berlin Orte für dich, an denen du neue Energie generieren kannst?

 

Wenn ich ehrlich bin: Nein!

 

Muss ich neue Energie tanken, verbringe ich Zeit mit mir alleine. Um durchzuatmen und zu verstehen, was in mir vorgeht. Oftmals überfordern mich Orte und Leute in diesen Momenten eher.

Eine andere Alternative besteht darin, Kaffee oder Wein mit meinen Freunden zu trinken und einfach ich selbst zu sein. Ich fühle mich sicher, werde umarmt, wenn ich weine, habe Space, um mich mitzuteilen, und bekomme auch mal, wenn es nötig ist, einen Arschtritt (meistens von Tim).

Du bist ja wirklich viel unterwegs, um zu arbeiten. Was kannst du für Unterschiede in anderen Städten zu Berlin beobachten und wie fühlst du dich, wenn du wieder in der Hauptstadt ankommst?

 

Auch wenn ich mein Privatleben in Berlin sehr genieße, arbeite ich zu 90% außerhalb. Ich bin immer wieder erstaunt, wie ruhig und wohl ich mich in anderen Städten fühle. Komme ich nach einem Job zurück und der ICE fährt in den Hauptbahnhof ein, macht sich schon eine gewisse Schwere bemerkbar. Ich weiß, dass ich einen Teil meiner kreativen Arbeit und Liebe erstmal nicht ausleben kann – bis der ICE wieder den Hauptbahnhof verlässt. In dieser Zeit versuche ich, mich auf andere Aspekte meiner künstlerischen Arbeit zu fokussieren. Ich liebe es, zu unterrichten und so etwas zurück- bzw. weiterzugeben. Auch genieße ich es, manchmal nur zu tanzen – ohne Druck, ohne ein Ziel oder die Idee, etwas erschaffen zu müssen. Stattdessen habe ich einfach Spaß am Tanzen, gehe zu Klassen, welche ich noch nie besucht habe, und mein einziges Ziel ist es, mich gut zu fühlen.

Wir haben ja schon viel im Vorfeld über die Stadt und ihre Einwohner geredet. Wie gehst du mit der hohen Dichte an Menschen um und wie nimmst du dein Umfeld in Bezug auf die Menschen wahr? Was kannst du beobachten oder vielleicht auch mit anderen Städten vergleichen?

 

Manchmal wäre ich gerne unsichtbar, wie gesagt, ich beobachte gerne Menschen, bin aber leicht überfordert, mit ihnen zu interagieren. Und ich bin in meinem Umfeld tatsächlich kein Einzelfall, was diese Thematik angeht. Dennoch liebe ich die Freiheit, Lebendigkeit und Leichtigkeit, die Berlin ausstrahlt und mit sich bringt. Arbeite ich in anderen Städten, fehlt mir das schon teilweise. Und obwohl andere Städte eine gewisse Ruhe ausstrahlen, wirken sie immer, als wären sie mit einem leichten Grauschleier umhüllt.

Wo wir gerade schon bei Menschen sind: Wie gehst du mit der extremen Schnelllebigkeit in der Stadt um und wie entfliehst du ihr, wenn sie dir zu viel wird?

 

Das versuche ich immer noch herauszufinden, also falls du einen Tipp hast, gerne her damit.

Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit sind Themen, über die wir uns schon oft unterhalten haben und welche momentan wirklich omnipräsent in unserer Gesellschaft sind. Was sind deine Gedanken dazu und wo denkst du, kommt das her? Was macht das mit uns?

 

Ich denke, dass die Oberflächlichkeit ein Resultat der Schnelllebigkeit unserer heutigen Gesellschaft ist. Alles steht uns jederzeit zur Verfügung und ist zudem von jetzt auf gleich austausch- bzw. ersetztzbar. Wir werden immer mehr zu Geistern unserer selbst. Beziehungen zu anderen, aber auch zu uns selbst, verlieren immer mehr an Wichtigkeit und Bedeutung. Wieso sollte ich mich mit meinen Gefühlen auseinandersetzen, wenn ich einfach mit einem Swipe eine Person ersetzen kann? Die Realisierung dieser Oberflächlichkeit überwältigt mich öfters und ich bin unendlich dankbar, dass ich Menschen in meinem Leben habe, die präsent sind. Wirklich präsent! Dennoch sehe ich gleichzeitig, dass sich immer mehr Menschen nach ehrlicher Connection und Kommunikation sehnen und offen dafür sind. Wo das herkommt – darüber könnten wir uns wahrscheinlich Stunden austauschen, so maybe another time...

So viele Menschen, Alltag, Rush! Wie bleibst du fokussiert und was treibt dich an?

 

Bin ich wirklich fokussiert? Ich weiß es nicht. Auf meinem Weg lasse ich mich gerne ablenken und nehme die Welt um mich herum war. Aber vielleicht bedeutet dies für mich, fokussiert zu sein. Wenn ich kreativ bin, habe ich nur mich – meinen Körper, meine Gedanken und Gefühle. Ich sehe oder höre nicht, was ich erschaffe- alles existiert nur für einige Sekunden. Ich verstehe, wie mein Körper sich anfühlt, wie ich atme, und es gibt diesen perfekten Moment, in welchem mein ganzer Körper kribbelt, mein Kopf leer ist und meine Seele an einen anderen Ort wandert. Als wäre ich komplett alleine in einem leeren schwarzen Raum.

Manchmal liege ich auch nur für 2 Stunden im Studio auf dem Boden, während mein Körper eine Diskussion mit meinem Kopf hat – „Wir müssen uns bewegen... Ich will aber nicht...“

Würdest du sagen, dass dein Leben in Berlin auch deine Arbeit beeinflusst und die Art, wie du dich durch sie ausdrückst? Wenn ja, wie?

 

Auf jeden Fall!

 

Ich würde sogar soweit gehen, dass meine Zeit in Berlin meine Arbeit nicht nur beeinflusst, sondern zu dem gemacht hat, was sie ist und wie ich mich durch sie ausdrücke. Dies habe ich natürlich auch ganz besonderen Menschen zu verdanken, die ich im Laufe der Zeit hier kennengelernt habe und die ihr Wissen mit mir teilten. Ganz besonders mein erster Hip-Hop-Lehrer, der mir die Freude und Neugier am Tanzen zurück gab, welche ich vor ca. 3 Jahren komplett verloren hatte. Mein Körper, Bewegungen und die Art, über meine Kunst zu denken, haben mich gelangweilt. Ich habe mir vorgenommen, meinen Körper neu kennenzulernen und mich neu in die Bewegung zu verlieben, Bewegungsansätze neu zu erlernen und zu verstehen. Daher habe ich mit Hip-Hop, Martial Arts und Thai Boxen angefangen. Am Anfang hat sich dies angefühlt, als wüsste ich nicht, wo rechts und links oder was oben und was unten ist. Aber ich habe viel gelernt, über mich, über Schmerz, über Grenzen und wie erfrischend es sein kann, bei Null anzufangen. Mein Körper hat angefangen, die neuen Bewegungsansätze zu verstehen und in meine Kunst und die Art, wie ich mich bewege, mit einzubinden und zu erweitern.

... und wo wir gerade schon dabei sind: Was sind die größten Einflüsse, welche dich und deine Arbeit beeinflussen?

 

 Ich denke, die größten Einflüsse sind die Menschen, die dich in deinem Leben berühren und einen Teil ihrer selbst bei dir lassen. Was du daraus machst, ist dir überlassen.

Wir haben uns ja schon einige Male über fehlende Kreativität oder ich nenn es mal „Downphasen„ unterhalten. Wie gehst du damit um? Hast du für dich eigene Wege entwickelt, um damit fertig zu werden?

 

Ein wichtiger Aspekt dieser „Downphasen“ besteht für mich darin, stillzusitzen und seine Arbeit zu reflektieren. Damit meine ich nicht, seine Arbeit zu werten, sondern sich zu erlauben, stolz auf sich und seinen Weg zu sein – Revue passieren lassen, was man schon alles geschafft hat.

Letztes Jahr hatte ich sehr mit so einer Phase zu kämpfen und war kurz davor aufzuhören und zu sagen „Fuck It, das war‘s„. In dieser Zeit musste ich immer wieder an etwas denken, was mir mein Martial Arts-Lehrer sagte: „Ich erzähle meinen Enkelkindern lieber von 1000 Kämpfen, die ich verloren habe, als einen, den ich mich nicht getraut habe zu ende zu bringen.“ Also entschied ich mich zu verlieren, so lange bis ich gewinne, und ok damit zu sein.

Welche sind hier in der Stadt deine größten Herausforderungen und Hürden?

 

Es ist immer etwas los, überall sind Menschen und es gibt kaum eine Ecke, an der man alleine ist. Über einem kreist immer das verlorene Gefühl von Zeit, auf einem Karussell dreht man seine Runden, schließt nur für eine Sekunde die Augen und es sind 5 Jahre vergangen.

Wir haben es ja schon mal so ganz kurz in einem Gespräch angerissen, dass du freiberuflich bist. Wie gehst du hier mit dem Druck um und was bedeutet hier Struktur für dich?

 

Persönlich habe ich eine kleine Hassliebe zu dem Wort „Struktur“. Ich denke, es ist wichtig herauszufinden, was Struktur für dich selbst bedeutet, bzw. wie deine persönliche Struktur aussieht. Es ist super hilfreich zu verstehen, wie und wann du am kreativsten/produktivsten bist, und dies zu nutzen. Andererseits denke ich aber auch, stur an einer Struktur festzuhalten, ist oftmals kontraproduktiv. Nicht selten machen wir uns zu viele Gedanken, wenn wir geplante Ziele oder Aufgaben nicht schaffen. Dabei vernachlässigen wir aber etliche Male das Wieso dahinter. Folgend fühlen wir uns schlecht und dann fangen wir an, uns Druck zu machen. Ich persönliche versuche dem Druck entgegenzuwirken, indem ich mir erlaube, mich auszuruhen, auch wenn etwas anderes geplant war. Ich lerne, mich nicht schlecht zu fühlen, „nichts zu tun“ und vor allem auch zu reflektieren, wieso ich meine geplanten Ziele für die Woche nicht vollendet habe.

 Was würdest du gern hier verändern, um die Stadt für dich attraktiver zu gestalten? Was fehlt dir? Was wünscht du dir?

 

Ich glaube nicht, dass da noch viel zu ändern ist.

Any Last words?

 

Verbrennt alle eure Handys und lest mehr Bücher!

Max Dietzmann