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In der neuesten Episode von „LOVER" habe ich mich mit Tim Leimbach in seinem Atelier in Kreuzberg getroffen. Tim ist freischaffender Künstler, Musiker, Scribbling-Artist und kommt aus Wuppertal. Bei unserem Treffen haben wir unter anderem über Berlin als Organismus, Struktur als Freelancer und vieles mehr. 

Hey Tim, erstmal hallo und vielen Dank, dass du bei dem Projekt mitmachst. Lass uns doch mal easy mit einer Vorstellung anfangen. Wer bist du? Wo kommst du her und was machst du?

 

Hey Max, danke erstmal für die Möglichkeit, an deinem Projekt teilzunehmen!

Ich bin Tim, Maler, aber auch Musiker und nebenbei noch Scribbling-Artist und komme ursprünglich aus Wuppertal in NRW. Bekannt für die Schwebebahn, Pina Bausch und natürlich Friedrich Engels...

2021 bin ich als Meisterschüler aus der UdK (Universität der Künste) gekommen und bin nun ganz offiziell freischaffender Maler ;)

Du kommst ja nicht aus Berlin. Wie sah die Anfangszeit für dich hier aus und welche Herausforderungen kamen speziell in Bezug auf dich als Künstler und deine Kunst zu?

 

Man sagt immer, es gibt Leute, die Berlin lieben und es gibt Leute, die Berlin hassen. Ich halte es da mit dem guten Mittelweg: Berlin ist eine hässliche Stadt, die man im Sommer lieben lernen kann, aber im Winter lieber nicht um sich hat, was eher einer Affäre gleichkommt als echter Liebe.

Die ersten 2 Jahre hier waren furchtbar. Ich komme aus dem bergischen Land und bis heute fehlt mir hier die Möglichkeit, mich einfach mal wortwörtlich über meine Umgebung erheben zu können und durchzuatmen.

Herausforderungen gab es hier anfangs im künstlerischen Bereich kaum zu bestreiten, da ich mich ja in der wohligen, hermetischen Atmosphäre der UdK bewegt habe. So soll es auch sein und manchmal wünsche ich mir diese Sicherheit zurück.

In dem Feld, in dem wir uns bewegen, spielt ein stabiles und sich nachhaltig entwickelndes Netzwerk eine essentielle Rolle. Wie konntest du in Bezug dazu dein Netzwerk hier weiterentwickeln und würdest du sagen, dass dieser Prozess sich hier schwieriger gestaltet?

 

Das mit dem Netzwerken ist für einen introvertierten Maler wie mich, der am liebsten alleine in seinem Atelier hockt, so eine Sache.

Es ist in Berlin schon möglich, wobei ich sagen muss, dass speziell der Rundgang im Jahr meiner Abschlussausstellung die besten Voraussetzungen zum Netzwerken geschaffen hat. Vor allem geht es da um den Kontakt zu wirklich interessierten Leuten, Sammlern wie auch Galeristen- oftmals besteht ansonsten das Netzwerk aus Leidensgenossen, was natürlich auf lange Sicht auch sehr wertvoll sein kann, wenn sich ein paar davon irgendwann mal aus dem Dreck wühlen und sich an dich erinnern.

Wo wir gerade schon beim Thema Netzwerk und Menschen sind. Wie gehst du mit dem immer schneller werdenden Leben um? Würdest du persönlich sagen, dass die Schnelllebigkeit in Berlin ausgeprägter ist als in anderen Städten, und wenn ja, was kannst du besonders hier hier beobachten?

 

Schnelllebigkeit einerseits, andererseits sieht man in Berlin, wie in keiner anderen (deutschen) Stadt, viele Leute tagsüber irgendwelchen Freizeitaktivitäten nachgehen bzw. einfach scheinbar nichts tun. Es geht also mitunter auch sehr langsam und geradezu ungeschäftig zu.

Das ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass man hier oft das Gefühl bekommt, man täte nicht genug, die anderen hätten schon wieder mehr Eisen im Feuer als man selber und man sei generell zu langsam, zu uninteressant, oder zu „normal“.

Mir gibt Berlin also eher das Gefühl, nicht bunt genug zu sein- klingt aus dem Mund eines Malers irgendwie irreführend, geb ich zu.

In Berlin leben momentan ungefähr 3,8 Millionen Menschen und es werden immer mehr. Was denkst du, welchen Einfluss diese enorme Masse an Menschen auf das Leben hier nimmt und welche positiven und negativen Veränderung bringt sie für uns und speziell für dich mit?

 

Was ich hier beobachte und was meiner Meinung nach den Organismus Berlin am Laufen hält, sind die Menschen, die ihren Traum von Berlin mit in den Stand bringen und damit eigentlich erst Berlin in dieser Form erschaffen. Ohne den ständigen Zustrom von außen wäre wahrscheinlich schnell Feierabend mit dem ganzen Zirkus, weil jeder irgendwann merkt, dass man auch hier so etwas wie einen Alltag bewältigen muss.

Es ist ein bisschen wie die Lederhose. Witzig fürs Oktoberfest, aber beim Joggen oder Einkaufen eher scheiße.

Die schiere Masse an Menschen merkt man dieser Stadt allerdings einfach nicht an, was natürlich an den 10000 Kiezen liegt, die eigentlich bessere Kleinstädte sind. Niemand würde mitbekommen, wenn man Steglitz einfach mal nach Brandenburg verfrachtet und stattdessen Britz dort einpflanzt.

Das finde ich durchaus positiv an Berlin- ein Kulturangebot, eine kulinarische Dichte, wie sie sonst nirgends zu finden ist, aber nicht die ständige Präsenz der Massen.

Viele Menschen, viele Bezirke und extreme Einflüsse. Wie bleibst du an einem Ort wie Berlin, an dem die Ablenkung quasi an jeder Ecke lauert, fokussiert auf dich, dein Leben und deine Arbeit?

 

Ich lasse mich von meiner Arbeit viel zu sehr vom Leben ablenken. Berlin hat dahingehend noch nie ein Problem für mich dargestellt.

In einem unserer Gespräche haben wir ja auch viel darüber gesprochen, dass du viel in anderen Städten unterwegs bist. Was kannst du an dir wahrnehmen, wenn du die Stadt verlässt, und was passiert mit dir, wenn du wieder zurückkommst?

 

Ich entspanne schon ziemlich, wenn ich aus Berlin rauskomme. Allein der ständige Verkehr, der einen hier begleitet: Ich wohne an einer Hauptstraße und mein Atelier liegt direkt am Schlesischen Tor. Es gibt also immer Action. Das vermisse ich wenig, wenn ich mal nicht hier bin.

Wenn ich zurückkomme, fällt mir schon auf, dass Berlin einen eigenen Geruch hat. Ich will nicht behaupten, dass es stinkt, aber gut riecht es eben auch nicht. Feinstaub olé ;)

Für unser Shooting waren wir ja in Kreuzberg unterwegs, und weil du da dein Atelier hast. Was bedeutet der Bezirk für dich und welche Entwicklung kannst du beobachten?

 

Ich glaube, eine fundierte Einschätzung kann ich mir in 1 1/2 Jahren Kreuzberg nicht erlauben. Es ist nach wie vor sehr touristisch, gerade in der Nähe meines Ateliers. Das wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern – ob es sich verstärkt, kann ich auch nicht einschätzen. Ich habe das Gefühl, dass da bereits alle Kapazitäten ausgeschöpft sind. Wegen des grotesken Amazon Towers an der Warschauer Straße wird wohl niemand extra in die Gegend kommen, außer vielleicht aufgrund der Schatten spendenden Wirkung im Sommer...

Schöneberg hingegen hat sich schon sehr zu einem zweiten, braven Kreuzberg entwickelt. Oder Prenzlberg? Ich weiß es nicht.

Spielen die einzelnen Bezirke Berlins eine wichtige Rolle für dich? Wenn ja, welche und warum?

 

Jeder Berliner kennt’s: Pendeln zwischen eigenem Kiez und vielleicht zwei drei anderen, in denen man entweder arbeitet oder Freunde hat. Ansonsten ist jede fremde U-Bahn-Haltestelle, die einen ausspuckt, das Tor zu einer anderen Welt. Das finde ich auch irgendwie schön. Es hat was von Kurzurlaub!

Eine spezielle Rolle spielt z. B. Charlottenburg für mich: Zum einen befindet sich dort die UdK, an der ich den Großteil meiner Berlin-Zeit verbracht habe, zum anderen wohnen dort einige meiner Kunden, was dazu geführt hat, dass ich ein, zwei interessante Orte, wie etwa den „Zwiebelfisch“, entdeckt habe. Eine kleine Bar/Kneipe/Restaurant, in dem man sich so richtig ins Westberlin der 80er zurückversetzt fühlt.

Wir alle kennen es. Alles sieht gleich auch aus. Die Motivation fehlt und man will am liebsten alles hinschmeißen. Wie gehst du mit solchen „Downphasen“ um? Gibt es hier Ecken, welche dir Energie geben und an denen du neue Kraft generierst?

 

Ich muss ehrlich sein. Die Ecke, die mir in Berlin neue Kraft gibt, ist wahlweise der BER oder der Hauptbahnhof. Die Ecke, die mir sagt: „nächste Ecke, weit, weit weg von dieser Stadt“.

Es gibt hier zwar einige nette Parks, aber so wie man sich in Berlin nie wirklich wie in einer Großstadt fühlt, so fühlt man sich auch nie wirklich daraus befreit. Eine Aura von eingesperrt sein begleitet mich hier eigentlich ständig.

Wenn ich so durch dein IG-Profil scrolle und mir deine Arbeit angucke, sehe ich oft die Silhouetten von Menschen. Würdest du sagen, dass sich dein Leben in Berlin in deiner Arbeit widerspiegelt oder großen Einfluss hat?

 

Ich möchte das gerne noch konkretisieren: Es sind Silhouetten von Menschen, die von uns weggehen. Das passt eigentlich ziemlich gut zum letzten Punkt- ich habe meistens das Gefühl, mit einem Fuß schon woanders zu sein. Der Drang, zu gehen, ist eigentlich immer da. Dahingehend sind die meisten meiner Bilder wohl oder übel Selbstportraits.

Natürlich kommen auch Szenen und Eindrücke vor, wie die von Leuten aus dem Park (Gleisi-Werkreihe), oder die der Vögel (man findet sehr oft verendete Tiere am Boden, wenn man mal aufmerksam und tief andächtig den Blick senkt).

Wo wir gerade schon dabei sind: Was hat den größten Einfluss auf deine Arbeit?

 

Arbeiten. Alles entsteht irgendwie aus sich selbst heraus. Ich sage nicht, dass es nicht auch in der Betrachtung anderer Kunst oder der Welt fußt, aber im Grunde genommen habe ich vor vielen Jahren eine kleine Mutterhefe angesetzt, die fleißig im Hintergrund vor sich hin gärt und immer wieder kleine Bildfetzen und Elemente ausspuckt.

Wir haben es ja schon mal so ganz kurz in einem Gespräch angerissen, dass du freiberuflich bist. Wie gehst du hier mit dem Druck um und was bedeutet hier Struktur für dich?

 

Struktur ist alles. Nicht, dass ich sie im Griff hätte oder mich immer daran halten würde.

Aber in den Tag hineinleben funktioniert bei Selbstständigkeit überhaupt nicht. Ich versuche, die Phasen, in denen ich das Gefühl habe, gute Arbeit im Atelier verrichten zu können, so frei wie möglich zu nutzen. Und wenn ich Tage habe, die mir ungeeignet erscheinen, verbringe ich sie zu Hause und schreibe Texte wie diesen oder setze mich an meine Steuererklärung (ich mag diese stupide Form der Beschäftigung dann und wann ziemlich gerne). Wenn ich richtig motiviert bin, schreibe ich auch mal eine Bewerbung für eines der unzähligen Stipendien, um die sich in Berlin gefühlt 1 Million Leute reißen.

Der Druck, der mit der Existenz in der Selbstständigkeit einhergeht, ist immens. Irgendwie muss man darauf vertrauen, dass es weitergeht. Nicht mehr und nicht weniger.

Was sind für dich persönlich Tabu-Themen unter Leuten, welche sich in deinem Feld bewegen, über die aber deiner Meinung nach offen gesprochen werden sollte? Über was sollten wir mehr sprechen, um als Kreative gemeinsam weiterzukommen? Was steht dir besonders im Weg?

 

Ich glaube, es muss viel mehr darüber geredet werden, welche psychologische Belastung die Selbstständigkeit im Allgemeinen, aber vor allem die im Kunst-Sektor ist. Wer ernsthaft Kunst macht, ist in einer ständigen Schleife der Selbstreflexion gefangen. Hinzu kommt der stete Vergleich mit Gleichgesinnten, der Vergleich mit den Erfolgreichen, den weniger Erfolgreichen, auch denen, die vielleicht „gescheitert“ sind. All das nagt an einem und gleichzeitig soll man sich verkaufen, netzwerken, am besten immer kreativ (was zur Hölle soll das eigentlich bedeuten) und immer positiv sein.

Das entspricht nicht der Realität und mich erleichtert und beruhigt es oft, zu hören, dass es bei anderen vielleicht auch nicht immer rund läuft, oder nicht nur bei mir der Selbstzweifel und die Durchhänger da sind.

Was würdest du gern hier verändern, um die Stadt für dich attraktiver zu gestalten? Was fehlt dir? Was wünscht du dir?

 

Baut mehr Bürotürme. Anders sind Berlin und die Welt nicht zu retten. (Wenn irgendwann mal der ganze Sektor den Bach runtergeht, werden dort die neuen Under-(oder Over)ground Clubs mit geiler Aussicht entstehen.)

 

 Any Last words?

 

Es werden täglich zu viele schlaue Dinge gesagt. Ich möchte mich da nicht einreihen.

Max Dietzmann